Tore, Setningen/Rondane
Ein kleiner schwarzer Punkt mitten auf dem zugefrorenen See. Leicht zu übersehen.
Als wir näher kamen, erkannten wir, daß da ein Eisfischer saß. Auf einem Hocker. Regungslos. Nach unten starrend.
Ab und zu stand er auf, machte mit seinen Armen ein paar Aufwärtsbewegungen, so als zöge er etwas aus dem Schnee vor ihm, dann setzte er sich wieder. Verharrte, wie eingefroren. Den Kopf nach vorne gebeugt. Regungslos.
Er saß da. Fast jeden Tag. Wenn wir vorbeifuhren auf unserem morgendlichen Weg in die River Lodge. Manchmal war er auch Abends da, wenn wir zurückkamen. Er saß auch an jenem bitterkalten Morgen dort, als das Thermometer minus 24 anzeigte und im Schneetreiben am Tag danach.
Ich hätte gerne mal mit ihm gesprochen, habe mich aber nicht aufs Eis getraut, weil ich dachte, ich würde mit meinen Schritten die Fische verscheuchen.
Aber dann, es war einer unserer letzten Tage in Rondane, fuhren wir an ihm vorbei, als er gerade sein Auto verließ und über die Leitplanke hinunter zum See stieg.
Ich bremste abrupt, stieß zurück, sprang auf die Straße und rief ihm hinterher.
Und so lernten ich Tore kennen.
Er stammt ursprünglich von den Lofoten, ist seiner Frau zuliebe runter in den Süden gezogen.
Die Eisfischerei ist seine Leidenschaft seit 35 Jahren. Er liebt es, da zu sitzen und auszuharren. Die Tage im Winter sind lang, sagt er. Irgendetwas muß man ja machen. Also fängt er Forellen und Barsche. Verwendet dafür kleine Maden, die er vorsichtig vorne auf den Haken spießt.
Dann senkt er den Köder mit einem glänzenden Gewicht in das Eisloch, wippt ein bißchen mit der Spitze seiner sehr kurzen Angelrute und wartet.
Sein größter (Fisch) wog 1,2 Kilo. Paßte gerade noch durch das Eisloch. Das macht er mit einem riesigen Bohrer. Aber nicht von Hand. Tore benutzt einen Akkuschrauber. Geht deutlich schneller.
Als ich erzählte, daß wir aus Deutschland sind, wurde er hellhörig. Er sei oft dort gewesen.
In Nürnberg und Duisburg vor allem. Hat immer Schweinshaxe bestellt (in Duisburg). Überhaupt das gute Essen in Deutschland. So lecker. Und das Fachwerk hat es ihm angetan. Die deutsche Baukultur. 5 Minuten nur habe ich bei ihm gestanden, dann bin ich gegangen. Wollte ihn nicht weiter stören.
Ich drehte mich noch ein letztes Mal um.
"Wie viel Minus hast Du schon auf dem Eis erlebt?"
"58. An der russischen Grenze."
Ich mußte schlucken.
"Und wie hat sich das angefühlt?"
Tore schmunzelte.
"Kalt", sagte er.