Solbjørg, Storviksanden 

So ein Matkroken (übersetzt: die Essecke) übt schon eine ziemliche Anziehungskraft aus, 

vor allem dann, wenn Matkroken irgendwo im Nirgendwo liegt. 

Wir kamen von unserer Wanderung zurück und brauchten eigentlich gar nichts. 

Trotzdem meinten wir, uns den kleinen Supermarkt mal „von innen“ anschauen zu müssen. 

Und natürlich - wie das dann immer so ist - haben wir etwas gekauft: 

Juleøl (übersetzt: Weihnachts!!!bier) aus dem Angebot! 19 NOK pro Dose! 

Ein Megaschnäppchen, auch wenn Weihnachten schon lange vorbei ist. 

Hering im Angebot gab es auch. 23 statt der üblichen 67 NOK. 

Hm? So viel Investition an einem Abend, wo wir doch eigentlich gar nichts brauchten. 

Darüber mussten wir erst noch einmal schlafen. 

Jedenfalls stand Solbjørg an der Kasse und sogleich kamen wir mit ihr ins Gespräch. 

Hätte ihr Chef nicht just in diesem Moment angerufen. Schade! 

 

Am nächsten Morgen beschlossen wir, doch noch in den Hering zu investieren.

Gute Entscheidung! 

Denn diesmal hatte Solbjørg niemanden an der Strippe und Zeit zum Plaudern. 

Zuerst kam natürlich das Wetter dran: 

Gestern so schön, mal endlich Sonne, fast frühlingshaft und heute? 

Ja. So sei das hier. Unpredictable! Im Winter manchmal schon Frühling und im August dann plötzlich Schnee. You have to deal with that. 

Für sie wäre das Wetter kein Problem, auch der lange dunkle Winter nicht, der vielen Lichter und der Gemütlichkeit wegen. Das sei einfach wunderbar. Aber sie stamme ja auch von hier und wäre an das Wetter gewöhnt. 

Anders als viele aus dem Süden, die sich hier niederließen mit falschen „Nordlandprospektideen“ im Kopf und dann nach kurzer Zeit wieder gingen, weil sie es nicht aushielten, weil der in den Bröschüren angepriesene Frühling und Sommer hier oben dann doch eher einen sehr kurzen Auftritt hätte. 

In den vergangenen Jahren allein drei ihrer Zahnärzte! Alle drei aus dem Süden, alle drei wollten sie in der Gegend ansässig werden. Letztendlich hätten sie sich quasi die Klinke in die Hand gegeben. Alle drei wären wieder zurückgegangen, einer nach dem anderen. Kein Verlass! 

And now? Now, we have a dentist from Bodø, at last! This one will stay. 

Bodø liegt 160 km weiter nördlich. 

 

 

Solbjørg ist 67. 

Das sieht man ihr nicht an und irgendwie kam es so rüber, als wisse sie das auch. 

Sie wohnt im Nachbarort, Melvik, nur 3 km entfernt, für norwegische Verhältnisse also mal eine kurze Distanz.

Mehrfach in der Woche arbeitet sie im Matkroken

Hatte nicht nein sagen können, als man sie fragte. Und wollte helfen. 

Deshalb steht sie jetzt hinter der Kasse, manchmal sogar sonntags!

Eigentlich ist sie nämlich im Ruhestand - pensionierte Lehrerin. Ursprünglich Grundschullehrerin.

Dann kamen Flüchtlinge und da sie nicht nein sagen konnte und helfen wollte, willigte sie ein und unterrichtete nebenbei noch die Flüchtlinge.

Irgendwann dann nur noch die Flüchtlinge. Sie wurde einfach dringend gebraucht. 

Es waren im Übrigen Flüchtlinge aus Afrika, für die Nordland der reinste Kulturschock war. 

Da gab es mehr als nur Norwegisch beizubringen! 

Als dann die Kommune letztes Jahr Flüchtlinge aus der Ukraine aufnahm, trat man abermals an sie heran. 

Und da sie nicht nein sagen konnte und helfen wollte, hat sie trotz ihres sicherlich wohlverdienten Ruhestands nun zwei Jobs „an der Backe“: den hinter der Kasse und den vor der Klasse! 

Manchmal wäre ihr das alles etwas zu viel. „I am always busy, too busy!“ 

Und deshalb sei sie froh, dass im Matkroken bald noch jemand weiteres eingestellt würde - eine jüngere Frau. 

Aber sie wolle nicht klagen. Wenn‘s ihr mal nicht so gut ginge, würde sie oft an früher denken.

Daran, dass sie als Kind dem Vater immer auf der Farm habe helfen müssen, ob sie wollte oder nicht. Und daran, was er damals zu ihr sagte:

You are not here to do what you like, but you have to like what you do! 

Das sei ihr Credo geworden, daran würde sie sich halten! 

 

Wenn man auf so einem Roadtrip unterwegs ist - im Winter  - wenn alle Zeichen auf unwirtlich und ungemütlich stehen, wenn noch nicht einmal die Klohäuschen offen sind, geschweige denn die Campingplätze und man wenig Menschen trifft, sind solche kleinen Begegnungen wie die mit Solbjørg einfach herzerwärmend! 

Schön, dass wir uns doch noch für den Hering entschieden haben.