Sigmund Nerby, Sollia/Rondane

Klar geht es früher oder später um Schule, wenn eine Lehrerin und ein streitbarer Ex-Elternbeirat auf Reisen sind.

Klar wird dann irgendwann das eine System mit dem anderen verglichen. Und klar wird man dann irgendwie neidisch, wenn man erfährt,

daß Kinder in Norwegen schon in der Grundschule (!) lernen, wie man ein Rentier zerlegt.

Oder ein Schneehuhn rupft. Oder Feuer macht. Oder ein Baumhaus baut. ...

 

Mal wieder war es der Zufall, der uns an einem Mittag in das gemütliche Foyer der Riverlodge führte.

Zur gleichen Zeit, als 2 Lehrer der Sollia Skole die Kinder unserer Gastgeber nach Hause  brachten (!!) 

Und so lernten wir Sigmund Nerby kennen. 

Er war uns auf Anhieb sympathisch. Es war die Art, wie er mit den Kindern umging. Liebevoll und sanftmütig.

Wir kamen schnell ins Gespräch.

 

30 Jahre lang hat Sigmund als Lehrer am Tanafjord gearbeitet. Fast an der russischen Grenze. Viele Sami leben dort.

Und wenn er von dieser Zeit erzählt, dann sieht man seine Augen leuchten und man spürt die Sehnsucht. 

„Wieso bist Du da weg gegangen?“

„Sie haben eines Tages die Schule zugemacht. Es war nur noch einer übrig.“

„Einer?“

„Ja, ein Schüler. Alle anderen sind weggezogen.“

„Und dann?“

„Dann haben sie mir angeboten, an die Grundschule nach Sollia zu gehen.“

„Fühlst Du Dich hier wohl?“

„Ja, sehr.“

Und so kam Sigmund vor einem Jahr nach Sollia. Er unterrichtet Mathematik und (Achtung) Friluftsliv (spricht sich frie-lüfts-lief).

Steht bei den Norwegern hoch im Kurs und auf dem Lehrplan an den Schulen. Das Leben in der freien Natur. Auch das Überleben.

Geprägt hat den Begriff wohl der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen. Ibsen hatte erkannt, wie wichtig es ist,

Zeit im Freien zu verbringen. Um Körper, Geist und Seele zu beleben. Das war schon im 19. Jahrhundert und lange vor unserer Zeit.

Darüber werden wir noch intensiv nachdenken…über die Schule auch …aber nicht jetzt.

Zurück zu Sigmund.

Das zweite Mal haben wir ihn auf der Halloween-Party der Schule getroffen.

Die Kinder tobten um uns herum, wir aßen heiße Würstchen, die in kalte Wraps eingerollt waren (die Norweger lieben Würstchen, egal wie)

und Sigmund erzählte über das Volk der Sami. Davon, wie ihre Kultur über viele Jahre von der norwegischen Regierung unterdrückt worden ist.

Wie sie immer weiter in den Norden gedrängt worden sind. Er schwärmte von ihrer Lebensweise, bewunderte ihre Handwerkskunst. 

 

„Ich habe mir viel abgeschaut“

„Was hast Du Dir abgeschaut?“

„Das Handwerk. Wie man Guksis macht und Messer“

„Die machst Du selber?“

„Ja, an den Winterabenden. Im Sommer gehe ich lieber jagen und fischen.“

„Ich zeig Euch, was ich mache. Wenn Ihr wollt, kommt einfach mal vorbei. Ich wohne nicht weit.“

 

Vermutlich hatte er nicht wirklich damit gerechnet, daß wir kommen. 

Als wir dann tatsächlich ein paar Tage später abends vor der Tür standen, hat sich Sigmund ziemlich gefreut. 

Was er uns dann in seinem Wohnzimmer gezeigt hat, war einfach unglaublich. Ästhetisch. Filigran. Einzigartig.

Messer, deren Griffe kunstvoll gestaltet waren, aus Holz, Rentierknochen und Geweih. Mit feinsten eingravierten Bildern und Mustern.

Gefäße für Salz oder Nadeln, kleine Kunstwerke, die in mühsamster Handarbeit an langen Winterabenden entstanden sind. 

Das Schönste aber waren seine Guksis. Der Inbegriff samischen Kunsthandwerks. Trinkgefäße, die aussehen wie kleine Schöpfkellen

und aus der Maserknolle einer Birke geschnitzt werden. Eine war besonders schön, mit einem Schneehuhn auf dem Griff. 

Sie wog leicht in meiner Hand, ihre glatte Oberfläche schmeichelte der Haptik.

Guksis sehen zwar zerbrechlich aus, aber wenn man sie gut behandelt, dann halten sie ein Leben lang. 

 

Sigmund Nerby, dessen größte Leidenschaft es ist, draußen zu sein, bei Wind und Wetter zu jagen und zu fischen,

verfügt offenkundig auch über eine besondere feinmotorische Gabe. 

 „Wie lange brauchst Du für eine Guksi?“

Ich stellte das Gefäß ganz behutsam zurück auf den Tisch.

„Zwischen 100 und 150 Stunden.“

„Wie bitte. Für eine?“

„Ja. Deswegen kann ich die Sachen auch nicht verkaufen. Der Preis, den ich verlangen müßte,  den würde niemand bezahlen.“ 

 

Und dann sagte Sigmund etwas Bemerkenswertes.

Es ginge nicht um Geld.

Sondern darum, so etwas Schönes mit den Händen zu erschaffen.

Das, und da war wieder dieses Leuchten in seinen Augen, mache ihn wirklich reich.