John Silver, Kongsvinger

Er wankte laut fluchend und gestikulierend über den Korridor im Krankenhaus. Das Hemd hing ihm aus der grünen Waldarbeiterhose.

Vorne spannte sein mächtiger Bauch über den Gürtel. 

Er schien ziemlich ungehalten. 

Der Typ war aus einem der Zimmer rechts gekommen, wollte offenbar zur Küche.  

Wenn der neben Dir liegt, dachte ich, haste nichts zu Lachen.

2 Tage später wurde genau dieser Patient zu mir ins Zimmer geschoben.

Und so lernte ich John kennen. John Silver. 

2 Schwestern und 1 Pfleger brachten ihn. (Verstärkung?) Irgendwie genervt oder angespannt sahen sie nicht aus.

Als das Bett an mir vorbeifuhr, hatte John Silver die Arme hinterm Kopf verschränkt, sah mich an und grinste.

Der Tross verschwand hinter einem blauen Vorhang, der das Zimmer teilte. 

Sofort ging der Fernseher an, die Lautstärke auf volle Pulle. Es lief Biathlon, wie ich später erfahren sollte seine Lieblingssportart. Weil die Norweger so erfolgreich sind. „The best in the world“

Endlich mal einer, der einen Fernseher zu schätzen weiß:)

Dann verließen Schwestern und Pfleger den Raum.

 

„Hey neighbour“, seine dunkle  Stimme hinter dem Vorhang übertönte den Fernseher leicht.

„Do you have an operation?“ Er hatte offenbar mitbekommen, daß ich kein Norweger bin. 

„No, I have some problems with my back. The disc, a prolapse. You know.“

„What?“

„Wait, I will show you.“

Ich mühte mich aus dem Bett, stützte mich auf den Rollator, und machte ein Paar Schritte auf den Vorhang zu.

John Silver saß auf dem Rand seines Bettes, schaute hoch an die Wand zum Bildschirm, auf dem die Biathleten geraden zum dritten Schießen kamen. 

Sein Nachthemd schien viel zu klein.

Ich erklärte ihm die Sache mit meinem Rücken, „Hoha!“. Es war offenbar Ausdruck seiner Anteilnahme. 

„My name is Christof. What is your name?“

„I am John.“ …Kurze rhetorische Pause… „My second name is Silver.

„Nice to meet you John Silver.“

Wir gaben uns die Hände. Ich mußte einfach fragen

"John Silver. Like Long John Silver. In Treasure Island?"

„What?

"The famous novel by Robert Louis Stevenson? Do you know it?"

„No“

Wir haben stattdessen darüber gesprochen, wer was hat und warum wir hier sind.

John Silver hatte sich die Schulter gebrochen. Beim Holzmachen im Wald. 

Der Stamm einer Kiefer war wieder hochgeschnellt.

„I didn’t pay attention. Crazy old man. But it could have been worse.“ 

Er machte die „Kopf-ab-Geste.“

Dann schaute er hoch zum Fernseher, wo der Norweger beim Biathlon gerade vorbeigeschossen hatte.

„Hoha!“ Ausdruck seines Erstaunens.

John Silver lebt in einer Hütte im Wald. Sein ganzes Leben schon. Er will nichts anderes.

„Big cities ? Stress, stress, stress. Forest? Quiet.“

Er war auch mal verheiratet. War aber irgendwie auch nix. Nur „Stress, stress, stress“

Jetzt ist es besser. „No woman, no cry…"

John Silver stand auf, wankte zum Klo. Blieb unterwegs am Spiegel stehen. Fuhr sich mit der Hand durch Haare und Bart.

„I look like an ape. Ugly old man.“

„How old are you?“, fragte ich. 

„53!“ (4 Jahre jünger als ich)

Ein norwegisches Urgestein. Laut, flegelhaft, ungeniert. Aber sehr authentisch.

Unsere Begegnung endete, als Thea kam, um mich nach Hause zu holen.

Und ganz ehrlich, ich war ein bisschen traurig darüber, daß sie John Silver nicht schon früher zu mir ins Zimmer geschoben hatten.