Inge Rangnar, Ørsnes/Lofoten

Die spinnen die Norweger… 

Dieser wunderschöne Ort sollte im Mittelpunkt eines millionenschweren Bauprojektes stehen?

Die kleine idyllische Bucht „umzingelt“ von schicken Wohn- und Ferienhäusern?

Allein die Vorstellung ließ uns zusammenzucken.

Wie konnten die an so etwas auch nur denken?

 

Der Tonfall mit dem Judith und Christoph uns davon erzählt hatten, war unmißverständlich.  

Sie waren alles andere als glücklich darüber. 

Tatsächlich fanden wir im Internet erste sehr konkrete und ziemlich futuristisch anmutende Entwürfe eines renommiertes Architekturbüros aus Oslo

Und einen Investor mit viel Geld hatte es offenbar auch schon gegeben.

Allerdings war der wohl wieder abgesprungen. 

„Und seitdem ist nicht mehr viel passiert“  

Bei Judith und Christoph war deutlich ein leichtes Aufatmen zu spüren.

Allerdings gebannt schien die Gefahr offenbar noch lange nicht. 

Man wisse nie, ob und wann die Bagger anrücken.

Wir waren gleich am ersten Abend nach unserer Ankunft in Ørsnes nach Silsanden Strand spaziert.

Die Bucht lag nicht weit vom Kräutergarten entfernt, am Ende eines kleinen sumpfigen Pfades, der von knorrigen Weiden gesäumt war. 

Dies war der Strand der Einheimischen, fernab der großen Touristenströme. 

Klein und idyllisch, verborgen in der weitverzweigten Schärenküste der Lofoten. 

Judith erzählte uns von einer Frau aus dem Ort, die Maklern und Investoren seit Jahren die Stirn bietet.

Oder besser, die ihnen bei diesem Projekt immer wieder in die Quere kommt. Unbequem und unermüdlich.

Wir sollten sie unbedingt treffen.

Und so lernten wir Inge kennen. Inge Ragnar

Sie ist 93. 

Stammt ursprünglich aus Leipzig und kam nach dem Krieg nach Norwegen.

Seit Mitte der 70er Jahre lebt sie in einer urigen aber sehr gemütlichen Blockhütte etwas abseits des Ortes und kommt, wie es scheint, immer noch ganz gut allein zu Recht. Eine zarte Frau in einer roten Wollhose, doch in ihrem Blick lag etwas sehr Entschlossenes. 

Sie erzählte uns, wie um sie herum ein Grundstück nach dem anderen aufgekauft worden sei, nachdem ihre Besitzer gestorben waren.

Das Haus ihrer Nachbarin sei das letzte gewesen, das Filetstück sozusagen, der Zugang zum Strand. 

Wir konnten uns an das gelbe Häuschen der Nachbarin erinnern. Wir waren bei unserem Spaziergang daran vorbeigekommen.

Es war verlassen und schien regelrecht darauf zu warten, abgerissen zu werden. 

„Jetzt besitzen die hier fast alles, sagte Inge. Und sie können tun, was sie wollen.“

„Sie“, das waren zwei Unternehmer aus der entfernten Umgebung, die offenbar über genügend finanzielle Mittel verfügten. Und über Einfluß. 

„Aber wehrt sich denn niemand dagegen?“

Aus Inges Antwort klang Resignation.

„Den meisten Menschen ist die Harmonie wichtiger. Außerdem leben hier viele Handwerker. Man hat denen wohl irgendetwas versprochen“

„Dürfen die denn überhaupt hier bauen?“

Es schien, als hätten wir mit dieser Frage einen roten Knopf gedrückt.

Es folgte eine lange Wutrede über Inkompetenz und Korruption in den Behörden, darüber, daß das Bauverbot an Norwegens unmittelbarer Küsten- und Strandlinie eigentlich gesetzlich und im Sinne des sog. Jedermannsrechts klar geregelt sei. Und trotzdem würden immer wieder oft unter der Hand Genehmigungen erteilt. 

Inge hatte den Verdacht, daß das in diesem Fall auch so gewesen sein könnte.

 

Silsanden und die Buchten drumherum sind ein wesentlicher Teil Ihres Lebens. 

Fast 50 Jahre hat sie hier verbracht.

Ein Großprojekt wie dieses würde die ganze Gegend komplett verändern, die Idylle unwiderruflich zerstören.

Kein Wunder also, daß sie mit allen Mitteln versucht, die Umsetzung zu verhindern. 

Daß bislang noch keine Bagger angerückt sind, könnte man eigentlich gutes Zeichen werten.

Doch sie traut dem Frieden nicht.

 

Am nächsten Morgen haben wir sie noch an den Bus gebracht.

Sie wollte zu ihrer Familie nach Oslo und war ein bißchen aufgeregt angesichts der langen Reise. 

Inge Rangnar winkte fröhlich zum Abschied, wir blieben nachdenklich zurück.

Unser Bild der umweltbewußten Norweger hatte deutliche Kratzer abbekommen.