Keine Angst. Wir sind nicht noch einmal auf die Lofoten zurückgekehrt.
Und auch wenn der folgende Artikel inhaltlich vielleicht nicht ganz in das aktuelle Abschiedsszenario passt, wollen wir ihn Euch auf keinen Fall vorenthalten.
Denn er zeigt, was möglich ist, wenn sich Menschen zusammentun, um gemeinsam etwas zu erreichen.
Ein sehr positives und ermutigendes Beispiel also, dass noch eine Weile nachklingen soll.
Geschrieben wurde der Text im Mai. Bis heute mussten wir auf die richtigen Bilder warten. Nun ist alles komplett.
Schon bei unserem ersten Aufenthalt im März waren wir auf unserem Weg zu Stærsk oft am blauen Eckhaus vorbeigekommen.
Es liegt ganz zentral am Torget, dem Marktplatz von Kabelvåg.
Die großen Drucke an der Wand, die man durch‘s Fenster sehen konnte, weckten zuerst meine Aufmerksamkeit. Irgendetwas Maritimes. Linoldrucke?
Was auf dem riesigen Plakat vor einem der Fenster stand, lasen wir erst später:
Folkeaksjonen oljefrit Lofoten, Vesterålen og Senja… was soviel heißt wie: Volksaktion für ölfreie Lofoten, Vesterålen und Senja.
(Alles Inseln im Europäischen Nordmeer.)
Unser Interesse war geweckt.
Wir machten uns schlau und was wir erfuhren, konnten wir kaum glauben:
Da hatte es diese Volksaktion offenbar zum wiederholten Mal geschafft, die Offshore-Ölförderung vor der Küste der Lofoten, Senjas und der Vesterålen zu verhindern.
Eine parteiübergreifende Organisation, 2009 gegründet, die es mit der mächtigen Ölindustrie aufgenommen und den Sieg davongetragen hatte.
Alle drei Gebiete gelten heute als schützenswert und sind von der Ölsuche ausgenommen.
So steht es zumindest im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung.
Nun lauerten wir förmlich darauf, jemanden im blauen Eckhaus anzutreffen.
Jedoch, die Tür war immer verschlossen. Der Raum hinter den Scheiben immer leer.
Es war wieder einmal der Zufall, der uns ein paar Wochen später schließlich zu Elisabeth führte, deren Namen mehrfach in diesem Zusammenhang gefallen war.
Auf der Suche nach jemandem, der uns etwas zur Problematik des Plastikmülls an der Küste erzählen konnte, gingen wir in die hobbyverksted nach Kabelvåg.
Im Büro trafen wir auf zwei junge Leute. Eine davon Elisabeth! Sie war sofort bereit, sich mit uns zu treffen.
Im blauen Eckhaus konnte ich mir nun die Drucke aus der Nähe anschauen.
„Yes, art is an important part of our project.“
Viele Künstler hätten ihren Beitrag geleistet, sagt Elisabeth und zeigt uns Fotos von unterschiedlich gestalteten Häuserfronten.
Einige erkennen wir wieder. Wir haben sie auf unserer Reise durch den Norden gesehen.
Elisabeth erklärt uns, dass das Meer vor den Lofoten, den Versterålen und Senja zu den produktivsten Küstenbiotopen der Erde zählt.
Hier findet man am Meeresboden das weltgrößte Kaltwasserkorallenriff und auf den Klippen die größte Seevogelkolonie Europas.
Hier ist die Heimat vieler verschiedener Walarten.
Hier laicht der letzte große Dorschbestand der Welt, der Skrei.
Diese einzigartige noch intakte Natur mache die Region zu einem der attraktivsten Reiseziel der Welt und zum touristischen Aushängeschild Norwegens.
„It‘s due to their popularity that the islands are protected.“
Der Reichtum an Nährstoffen sei besonders wichtig für den Fischnachwuchs der Region.
Schon seit Jahrhunderten ernähre der Fischfang Generation um Generation.
„Tourism and fishery are the economic motors of the whole area, both sustainable and environmentally friendly.“
Auf der 3-D-Karte zeigt sie uns die geologische Besonderheit der betroffenen Gebiete.
Vor der Küste, so sehen wir, ist die kontinentale Platte in der Tat besonders schmal. Jenseits davon beginnt ein tiefer Meeresgraben.
Nur auf diesem schmalen Sockel wären Ölbohrungen möglich, d.h. in weniger tiefen Gewässern und somit in unmittelbarer Nähe der Küste.
Ökologisch ein absolutes No Go!
Und dennoch hätte es bereits konkrete Pläne zu Bohrungen in dieser Region gegegeben.
Vor meinem inneren Auge sehe ich zerborstene Riffe, auseinanderstiebende Fisch- und Vogelschwärme, schwimmende Ölteppiche, schwarze Strände …
Die Zerstörung einer Natur und Landschaft, die auch ich als paradiesisch und absolut einzigartig empfunden habe.
Dass das viele Menschen zu verhindern suchen, können wir uns vorstellen.
Dennoch staunen wir über die Reichweite und den Erfolg der Aktion.
In Deutschland wäre es undenkbar, dass sich der Staat gegen die mächtigen Wirtschaftskonzerne wendet und stattdessen eine regionale Umweltinitiative unterstützt.
Gründe für den Erfolg gäbe es einige, meint Elisabeth.
„First of all, we were working together and not against eachother. That means the whole area.“
Was sie damit meint, ist der Schulterschluss aller betroffenen Inseln, der gesamten Fischereibranche und der Umweltorganisationen.
Es wäre ein langer und anstrengender Kampf gewesen und den hätten sie nur gemeinsam und zusammen gewinnen können.
Elisabeth erzählt, wie aus einer Bürger- eine Volksaktion wurde, wie sich ihnen nach und nach einflussreiche Parteien, Unternehmen, Organisationen und Verbände angeschlossen hätten bis hin zur Regierung selbst.
„We invited politicians from Oslo to come here, look at the situation and discuss with us.“
Es wäre ihnen immer um den Dialog gegangen, von Druck und Gewalt hätten sie nie Gebrauch gemacht.
„Knowledge and science, these were our trump cards“, betont sie.
Sachliche Argumente und Fakten, das brauche es, um die Leute überzeugen und sie letztendlich für sich zu gewinnen.
Elisabeth spricht voller Verve.
Wir spüren ihre Überzeugung und ihren Stolz über den Erfolg, zu dem sie beigetragen konnte.
Mittlerweile ist das Projekt beendet, das Ziel erreicht: Die Lofoten, Versterålen und Senja sind und bleiben ölfrei.
„We achieved what we wanted and so decided to quit.“
Am Schluss werfen wir noch einen Blick auf eine der Karten an der Wand.
Sie visualisiert die vom Staat bisher erteilten Öllizenzen, sog. Ölblöcke.
Mir klappt die Kinnlade herunter. Die ganze norwegische Westküste ist voll davon.
… mit Ausnahme des europäischen Nordmeeres vor den Lofoten, den Vesterålen und Senja.
Vorerst!
PS:
2019 hat die Aktion ihren letzten entscheidenden Sieg gegen die Ölindustrie davongetragen.
2021 jedoch erteilte die Regierung 30 Gesellschaften Lizenzen für weitere Ölsuche auf dem norwegischen Sockel.
Davon befinden sich einige neue Blöcke so nah an den südlichsten Lofoteninseln wie nie zuvor.
Darin zeigt sich die ganze Fragilität der Errungenschaft!
Tatsächlich versucht sich die Regierung in Oslo in einer merkwürdigen Doppelrolle.
International will Norwegen Klimaschutzvorbild sein und an der Spitze im Kampf gegen den Klimawandel gesehen werden,
gleichzeitig strebt sie danach, den Beitrag an der Öl- und Gasförderung des eigenen Landes beizubehalten und möglichst noch auszubauen.
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