The Twist

 „Denn das Geheimnis der nordischen Architektur war schon immer deren enges Verhältnis zu ihrer Umgebung - zu Landschaft und Natur.“ (Nord59°)

 

Auf unserer Fahrt durch Norwegen sind wir an einigen architektonischen Hotspots vorbeigekommen, angefangen mit der Oper in Oslo über den

Snøhetta Viewpoint im Dovrefjell  bis hin zu vielen „hidden gems“ am Straßenrand: außergewöhnlich gestalteten Rastplätzen, Toiletten und Aussichtspunkten.

Immer hatten diese Orte etwas von von einem Wow. Immer haben wir gestaunt, waren perplex, ob einer Architektur, die Mensch und Natur gleichermassen gerecht zu werden schien und dabei immer etwas sehr Innovatives an sich hatte. 

Dass am Ende unserer Tour ein ganz besondere Attraktion auf uns wartete, haben wir Martha  und Markus  zu verdanken, unseren Freunden aus Freiburg. 

Der Tip kam von ihnen, zusammen mit einem Foto: „The Twist!“

Wir machten uns schlau und … Ja! Das wollten wir uns ansehen. Unbedingt! 

Und so fuhren wir auf unserem Weg nach Huser Gård vorher in Jevnaker vorbei.

 

„The Twist“ ist das neuste Highlight des norwegischen Kistefos Museums, eines historischen  Industriegeländes mit angegliedertem Skulpturenpark, mitten in den Wäldern nördlich von Oslo am Fluss Randselva gelegen. Der Skulpturenpark rund um die Überbleibsel einer Zellstofffabrik aus dem 19. Jahrhundert ist der bedeutendste Skandinaviens und „The Twist“ seit seiner Eröffnung 2019 dessen Hauptattraktion. Ein Bauwerk, das in mehrerer Hinsicht verbindet, so heißt es, nicht nur die beiden Ufer des Flusses, sondern auch die Bereiche Kunst und Architektur, Natur und Kultur, Ästhetik und Funktion!

Wir waren extra abends angereist. Der noch offene Park bot uns Gelegenheit, das architektonische Bravourstück zumindest schon einmal von außen zu bewundern. 

Auch wenn der Fotograf unzufrieden war, ob des mangelnden Lichts an jenem Abend. Ich fand das Gebäude umwerfend! 

Was ich sah, war ein futuristischer, aluminiumverkleideter und in seiner Mitte um die eigene Achse verdrehter und aufgefächerter Gebäuderiegel.

Ein silbriger in sich verwrungener Balken, der den breiten Fluss überspannte und so beide Teile des Skulpturenparkes miteinander zu einem Rundgang verband. 

Unglaublich! Eine Art Brücke und Skulptur in einem und in deren Inneren, das offenbarte der Blick durch die großen Scheiben, eine Galerie mit zeitgenössischer Kunst. 

Die, so war der Plan, wollten wir uns am nächsten Tag anschauen, und zwar ganz früh morgens, vor dem großen Andrang. Immerhin war es Sonntag und das erste Ferienwochenende in Norwegen. 

 

Als wir die Galerie durch die große Eingangstür betraten, dachten wir zunächst wirklich, wir wären ganz alleine. 

Nur wir und die Skulpturen und dieser unfassbar schöne großzügige weiße und lichtdurchflutete Raum mit dem Blick auf die historische Zellstoffmühle und den Fluss. Alles richtig gemacht! 

 

Wir waren also schon eine Weile staunend um die Kunstwerke geschlichen, als wir ihn wahrnahmen.

Hinten in der Ecke, von einer riesigen Glasskulptur verdeckt. 

Saß da, in schlichtes Schwarz gekleidet auf einem weißen Stuhl, ganz ruhig, fast so, als sei er selbst ein Teil der Ausstellung. 

War er aber nicht.

Peik Elias  saß nicht zufällig an diesem Platz. Peik Elias  saß da, weil er über Cumulus wachte: eine Glasskulptur von Tony Cragg.

Ein Arrangement aus Gläsern, Flaschen, Vasen, auf verschiedenen Ebenen, übereinander getürmten Etagen, eine klebstofffreie gläserne „Akkumulation“.

Ein äußerst fragiles und zerbrechliches Artefakt jedenfalls.

Ein Kunstwerk, das es in der Tat mehr zu bewachen und beschützen galt, als alles andere in diesem Raum. 

Und das tat Peik Elias und zwar mit großer Ruhe und Gelassenheit. 

Man könnte meinen, das sei ein „really boring job“, tagein, tagaus, Stunde um Stunde da zu sitzen und nichts zu tun, außer über Cumulus‘ Unversehrtheit zu wachen. 

Nein, das sei überhaupt nicht so, sagt der junge Mann. Er fühle sich sehr wohl an diesem außergewöhnlichen Ort, umgeben von all der Kunst und der Ruhe. 

Auch die tägliche Stunde Fahrt von Oslo hierher mache ihm nichts aus. 

„It‘s a privilege to be here“!

Man muss wissen, dass Peik Elias selbst auch kunstschaffend ist, vor allem Malerei, aber auch Plastik.

Und absolut kein Niemand, wie uns der Blick auf seine Homepage hinterher offenbarte.

Während wir uns mit ihm unterhielten, fiel mein Blick durch die riesigen gebogenen Scheiben nach draußen auf den Fluss, der sich vom Wasser satt, still und träge unter der Galerie hindurch in Richtung  Fjord schob. Was für eine Ruhe hiervon ausging. 

Ich glaubte zu verstehen: „It‘s a privilege to be here“! 

Wir gingen weiter, kamen nun in den „Zwischen-Raum“, der die offene Galerie mit einer dritten riesig hohen fensterlosen Ausstellungshalle verband und alles auf den Kopf zu stellen schien. Was eben Decke war, wurde durch den „Twist“ zu Wand- und Bodenfläche und umgekehrt. 

Und obwohl unser Auge Kurven und geschwungene Linien wahrnahm, waren die Paneele bei genauerem Hinsehen  gerade angeordnet, jedoch wie ein Fächer verdreht und schufen dadurch diese Illusion. Alles Latten aus weißem Tannenholz im Übrigen, wunderschön! 

 

Schwer zu sagen, was hier drinnen am meisten faszinierte: 

Diese verblüffende Konstruktion, der „Twist“ an sich - ein wahrer architektonischer Geniestreich! 

Die schlichte Schönheit der hohen weißen Räume. 

Oder aber die imposanten Ausstellungsstücke selbst, alles Skulpturen von Tony Cragg, alle aus unterschiedlichen Materialien und verschiedenen Schaffensperioden.

Letztendlich war es die gelungene Komposition aller Elemente: Architektur, Raum, Farbe, Licht und Kunstwerke, die hier zu purer Ästhetik verschmolzen. 

Ich verstand: „It‘s a privilege to be here“!

 

Martha  und Markus  waren selbst noch nie im Kistefos Museum, haben noch nie „The Twist“ aus der Nähe gesehen.

Aber Markus  ist Fensterbauer und wusste um die Besonderheit der im „The Twist“ verbauten Isoliergläser.

Sie stammen von einer Firma aus Berlin, einem von nur drei Unternehmen in ganz Europa, die imstande sind, derart komplizierte Gläser herzustellen.

Die größte Scheibe mit 5,20 m auf 2,50 m wiegt offenbar 1200 kg. Ein handwerkliche Meisterleistung! 

Danke Ihr Lieben für diesen Tipp. 

„It was a privilege to be here.“

 

PS: 

Zum Schluss „mussten“ wir noch auf die Toilette! 

Denn die war nicht nur einfach ein WC, sondern auch Teil des Kunstwerks….

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Kommentare: 1
  • #1

    Martha & Markus (Dienstag, 04 Juli 2023 06:35)

    „It‘s a privileg“ Euren Blog verfolgen zu dürfen. Herzlich Dank!