Wiedersehen mit Sollia

 

Immer noch fuhren wir mit Piggdekk durch die Gegend. Ihr erinnert Euch? Spikes. 

Die braucht man hier im Winter. Icegripper für‘s Auto sozusagen. 

Unglaublich, wo unsere Minna uns damit überall hingebracht hatte! 

Nun allerdings mussten wir sie loswerden. Und zwar dringend. Und zwar  b e v o r  uns die Polizei damit erwischte. Immerhin war es ja schon Ende Mai. 

Unsere Sommerreifen lagerten seit Oktober letzten Jahres bei Terje Brend. 

Terje hatte auch angeboten, sie im Frühjahr wieder aufzuziehen. 

Und so kam es, dass wir zum dritten Mal in diesem Jahr nach Rondane zurückkehrten. 

Und was soll ich sagen? 

Nicht nur, dass Sollia nach all dem Regen im Norden endlich mit blauem Himmel und Sonnenschein aufwartete. 

Alles war einfach wunderbar …. wunderbar vertraut. 

 

Gleich am ersten Abend, noch weit vor unserem Ziel, kam es zu einem unverhofften Stelldichein. 

Wir saßen in der Minna, hatten eine ordentliche Tour in den Knochen und gerade beschlossen, nicht weiterzufahren, sondern die Nacht auf dem schönen Wanderparkplatz direkt am Fluss zu verbringen. 

Es war schon relativ spät. Die Abendstimmung wunderschön.

Ich erkannte den braunen Mercedes sofort. Sigmund! Er war zum Angeln gekommen. 

Fünf Minuten später rollte ein türkisfarbener Jeep auf den Parkplatz: Llyke und Andreas mit dem kleinen Attila!

Sie kamen aus dem verlängerten Wochenende von der Westküste. Hatten uns drei da stehen sehen und waren sogleich abgebogen. 

Was für eine unerwartetes Zusammentreffen, was für ein spontanes Wiedersehen und vor allem was für eine Freude! 

Irgendwie ein verheißungsvoller Auftakt! 

… auch wenn Sigmund an jenem Abend keinen einzigen Fisch fing.

 

Was danach folgte, waren zehn wunderschöne Tage in Sollia. 

Zehn Tage, die vor uns lagen lagen wie ein leeres Blatt, das es zu füllen galt. 

Zehn Tage, in denen wir völlig frei waren, zu tun und zu lassen, was wir wollten. 

Zehn Tage, die sich für uns anfühlten wie richtiger Urlaub.

Das hatte es während der vergangenen Monate nicht so oft gegeben.

Es fühlte es sich jedenfalls ziemlich gut an! 

Das Wetter war herrlich, sonnig und warm. 

Wir hatten einen gemütlichen Spot zum Übernachten gefunden, unter knorrigen Kiefern, zwischen Birken und Heidekraut

und mit einem tollen Blick hinunter auf den Setningensee. 

Ein paar Schritte weiter unten gab es am Ufer zwischen ein paar Fischerbooten eine kleine Badestelle.

Schmelzwasser! Kostete das erste Mal ziemlich Überwindung, war aber herrlich erfrischend. Und das vor allem nach einer langen Wanderung. 

Gewandert sind wir viel in diesen Tagen, unsere Wege haben uns unweigerlich zu den Plätzen und Orten geführt, an denen wir 2014 auch mit Piet und Evi waren. So sind wir viel auf den Pfaden der Vergangenheit gewandelt, haben Erinnerung und aktuelle Wirklichkeit miteinander abgeglichen und gestaunt, was unser Hirn an Reminiszenzen hervorzubringen fähig war. Erinnerungsfetzen, die uns anflogen, unverhofft, mitten im Geschehen … ein Gruß aus dem Gestern… ausgelöst durch ein winziges Detail …irgendwie irre! 

 

Und natürlich haben wir auch viele liebe Menschen wiedergesehen. 

Sind fast täglich in der Riverlodge vorbeigeschneit für einen kurzen Plausch mit Karin und Benjamin, Llyke oder Andreas. Je nachdem, wer gerade „Dienst schob“. 

Dort war nun Hauptsaison und das Team auf zehn Leute angewachsen. 

Wir freuten uns immer, wenn wir im Vorbeifahren viele Autos vorne auf dem Parkplatz stehen sahen und offenbar schon mittags Touristen anhielten, um das Lunch Menu oder zum Kaffee Karins „Norwegian waffels“ zu probieren. 

 

Llykes und Andreas‘ Jeep stand eigentlich fast immer da. Einer von beiden musste in der Küche sein:

Llyke morgens zum Richten des Frühstücks und Andreas dann ab Nachmittag zur Vorbereitung des abendlichen Dinners.

Ein ziemlicher Schlagabtausch, nicht so ganz ideal für die kleine Familie.

Umso schöner, dass wir trotzdem einen Abend fanden, an dem wir gemeinsam in Soltun kochen, essen und uns intensiv austauschen konnten. 

Llyke und Andreas sind zwar in Soltun umgezogen und haben es sich in einen größeren Appartment gemütlich gemacht, langfristig sehen sie aber ihre Zukunft nicht hier, sondern eher an der Küste. Llyke interessiert sich für Algen - "Seawood" steht da hoch im Kurs - und Andreas würde am liebsten Boote bauen und nur hin und wieder als Chefkoch in Küchen aushelfen. Sie würden also die „Community of Sollia“ früher oder später verlassen. 

Einen der sonnigen Nachmittage verbrachten wir in Miros und Barbaras Garten.

Miro ist ein leidenschaftlicher Gastgeber und hatte sich richtig ins Zeug gelegt, um uns mit einen köstlichen Aperitiv zu begrüßen.

Da saßen wir nun inmitten einer Ansammlung denkmalgeschützter uralter Farmhäuser, umgeben von ebenso uralten Zäunen, von jungen, frischausgetriebenen Birken und gelben Löwenzahnwiesen voll blökender Lämmer und Mutterschafe. Es war ein bisschen wie aus der Zeit gefallen und fast so, als säßen wir bei Svenssons in Lönneberga draußen an der Kaffeetafel.

Nur dass es eben Bier, Rotwein und Tapas gab… und wir nicht in Schweden waren, sondern in Norwegen.

Wir hörten, dass Miros Elt Bakeri sehr gut läuft. Vor allem jetzt in der Hauptsaison scheinen die Brote wegzugehen „wie warme Semmeln“.

Stolz erzählte er uns, dass er expandieren würde.

Mit seinem neuen Ofen, den er extra aus Belgien hat kommen lassen, wird er künftig im großen Gemeindehaus von Sollia backen.

Ständig probiert er Neues aus - aktuell versucht er sich an Apfeltaschen. Seine Euphorie ist ungebrochen. 

Barbara jongliert noch immer meisterhaft mit vielen Jobs. Im Frühjahr hatte sie auf der Nachbarfarm geholfen, die Lämmer auf die Welt zu bringen, und zwar die auf den Wiesen um uns herum. Nebenher gab sie für eine Schule in Oslo Fernunterricht in Flämisch. Mitte Juni bis September wird sie als Schäferin in den Bergen oberhalb von Lillehammer arbeiten. Mit Ausnahme der Wochenenden, an denen sie in der Käserei aushilft. 

 

Deren Fortbestehen, so erfahren wir, steht leider auf der Kippe. Zu wenig Kunden, zu hohe Stromkosten.

Auch eine der dazu gehörenden Ziegenfarmen kämpft finanziell ums Überleben.

Eine Entwicklung, die uns traurig macht. 

Klar wollten wir auch unbedingt noch einmal Sigmund sehen und so standen wir an einem der letzten Abende wieder einmal vor seiner Tür.

Haben ihn noch einmal in seinem schönen Haus besucht, noch einmal in seiner gemütlichen Stube gesessen, uns noch einmal bei Instantkaffee, Kakao und „Goodies“ mehr als zwei Stunden bestens unterhalten und noch einmal mehr gespürt, was für einem feinen Menschen wir da gegenüber saßen.

Dass Sollias Schule leider schließen würde, wussten wir schon. Es gab zu wenige Kinder.

Für Sigmund bedeutete das, dass er nach den Sommerferien täglich ins 75 km entfernte Koppang zum Unterrichten wird fahren müssen.

Minimum eine Stunde unterwegs, im Winter entsprechend länger. Gott sei Dank würde er dieses Schicksal mit seiner Kollegin Berit teilen. 

Es hat dann noch ein bisschen gedauert, bis wir einen Termin zum Reifenwechsel bei Terje bekamen. Aber als es dann soweit war, ging alles ganz fluchs.

Wir hatten uns abends zum Dinner in der Riverlodge angemeldet und sollten vorher in Terjes Garage vorbeikommen. Gjermund war diesmal auch da.

Was für ein Spaß, den beiden zuzusehen, diesem eingespielten Team. Vater und Sohn! Zu beobachten, wie sie miteinander und vor allem einander ZU arbeiteten. Nebenher plauderten sie mit uns, waren sehr interessiert und freuten sich auch über unser Interesse.

Schneller als wir uns versahen, waren die Spikes unten und unsere Sommerreifen wieder aufgezogen. Bezahlt haben wir nichts. 

 

So sehr ich die Tage in Rondane genossen hatte, irgendwann wollte ich nur noch diese Abschiede hinter mich bringen.

Beim letzten Mal wussten wir ja, dass wir zurückkommen würden.

Diesmal war es ein endgültiges Adieu, zumindest ein Adieu auf unbestimmte Zeit. 

Auch wussten wir nicht, wer beim nächsten Mal - wann immer das auch sein könnte - überhaupt noch da sein würde.

Mit der Schließung der Schule, so befürchten wir,  ist ein wesentlicher Teil des Lebens Vorort verlorengegangen.

 

Wir, die wir die Abgeschiedenheit suchen und nur vorübergehend hier waren, verklärten Rondane zu einem Paradies.

Für die Locals, ob alteingesessen oder zugezogen, blutet die Region aus

und kann vielleicht nicht dauerhaft eine Existenzgrundlage bieten, so wie übrigens viele andere „remote places“ in Norwegen auch. 

Das Atnasjönkaffee, das schon vor geraumer Zeit geschlossen wurde und das man uns zum Kauf anbot, haben wir jedenfalls abgelehnt. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Famille Demarcq (Samstag, 24 Juni 2023 17:04)

    Que de nostalgie ....
    Il est dur de rentrer et à nos âges de se dire qu'il y a peut être des des endroits où l'on ne retournera pas de si tôt. C'est le champ des possibles qui se restreint ....mais c'est le sens de la vie. C'est une grande chance d'avoir pu faire ce voyage et d'avoir pu faire toutes ces merveilleuses rencontres. Et puis, nous aussi, nous avons hâte de vous voir!