Judith's Urtehage

Abends, nach dem Essen, sah man sie meist noch einmal draußen.

Und auch wenn man nicht immer wusste wo,

solange die Tür des gelben Gartenhäuschens offen stand, konnten wir sicher sein, die beiden waren noch aktiv.

Oft machten sie „ihre Runde“ in Richtung Moor und wenn sie zurückkamen, dann streiften sie noch einmal gemeinsam durch den Garten,

schauten hier und betrachteten da, als wollten sie sich seiner Schönheit vergewissern, bevor sie den Tag zu Ende gehen ließen. 

 

Heute haben wir von ihnen Abschied genommen, von Christoph und Judith.

Drei Wochen waren wir bei ihnen. 

Drei Wochen, die wie im Flug vergingen. 

Drei sehr schöne und intensive Wochen gemeinsamen Arbeitens und Miteinanders. 

Drei Wochen zwischen Winter und Frühlingsanfang. 

 

Beide sind etwas älter als wir. 

Christoph ist Schreiner, Judith betreibt eine Kräutergärtnerei, verkauft Tees, Gewürze, Pesto und Tinkturen. 

Christoph hatten wir bei Cathinka kennengelernt. Er war für die Holzarbeiten im neuen Apartment verantwortlich. 

Eigentlich ist er Deutscher und Judith kommt ursprünglich aus den Niederlanden. 

Davon merkt man aber nicht mehr viel. 

Beide leben schon sehr lange hier in Norwegen, sprechen miteinander Norsk,

wissen über „Hinz und Kunz“ im Ort Bescheid und kennen die Lofoten wie ihre Westentasche. 

Es ist, als seien nicht nur ihre Pflanzen, sondern auch sie selbst fest mit dem norwegischen Boden verwachsen.

Wir durften in ihrem wunderbaren großen Appartement wohnen, im gelben Haus, mitten im Kräutergarten. 

Mit dem Blick auf die langgezogenen Beete, die beiden Gartenhäuschen - das gelbe und das rote - die Wiese und dahinter das Meer. 

Morgens, mittags, abends - der Garten war immer präsent. 

Und hier gab es für uns viel zu tun: Komposthaufen umschichten, die Beete für die Neupflanzung richten, Jungpflanzen eintopfen,

Weiden in ein Gitter flechten, einen neuen Zaun bauen und während eines verlängerten Wochenendes die kleinen Sämlinge im Gewächshaus hüten.

Letzteres war ein ziemlicher Vertrauensbeweis. Und wir sind froh: alle grünen Zöglinge haben es offenbar überlebt. 

Schöne Aufgaben jedenfalls: Viel körperliche Arbeit, viel Draußensein bei Wind und Wetter, viel Umgang mit frischer Erde oder Kompost ...

Und ein sehr befriedigendes Gefühl am Ende eines jeden Tages!

Judith leistete uns oft Gesellschaft, ebenfalls arbeitend.

Meist in einem ihrer Beete, immer in der Hocke, immer die Hände in der Erde, an den Füßen Gummistiefel und auf dem Kopf ein buntes Tuch.

Ein Anblick, der im Gedächtnis bleiben wird. 

Ihr „Urtehage“ ist jedenfalls ein herrlicher Arbeitsplatz. 

Hier wurden wir Zeuge des Frühlings, der Kraft der wiedererwachenden Natur auf den Lofoten.

Hier konnten wir beobachten, wie schnell das im Norden geht - gehen MUSS! 

Wie sich der Garten von Tag zu Tag veränderte, wie Sämlinge und Setzlinge in die Höhe schossen. 

Wie Zaghaftes und Fragiles zu Robustem heranwuchs.

Wie sich alles innerhalb kürzester Zeit in ein sattes, leuchtendes Grün verwandelte. 

Und das, obwohl sich die Sonne äußerst rar machte. Dieser Frühling war eher ungemütlich. 

Aber das bisschen Mehr an Wärme und Licht reichten offenbar aus, um die Natur aus der Winterstarre zu befreien und ihr neues Leben einzuhauchen. 

 

Dann die Gänse!

Wir waren dabei, als sie zurückkamen!

Bevor wir sie erblicken konnten, hörten wir sie, ihr näherkommendes Geschrei. 

Und hier, vor unseren Augen, in der kleinen Meeresbucht jenseits der Straße, ließen sie sich nieder,

machten mehrere Tage Rast auf ihrem langen Weg nach Spitzbergen. 

Große Schwärme,  über 1000 Tiere. Wem kommt da nicht sofort  Nils Holgersson in den Sinn? 

Während wir in Judiths Urtehage arbeiteten, war Christoph in Kabelvåg tätig, renovierte die Rückseite des schönsten Gebäudes im ganzen Ort. 

Kam er am späten Nachmittag nach Hause, schien er zufrieden und ausgeglichen. 

Zumindest ließ dies sein notorisches und gut gelauntes „Grüß Gott“ vermuten. 

Wir bekochten uns dann immer im Wechsel und aßen gemeinsam zu Abend, mal bei ihnen, mal bei uns. 

Meist saßen wir noch lange am Tisch, tauschten uns aus, lachten und fühlten uns wohl miteinander, bevor sich anschließend ein jeder zurückzog. 

 

Gegen später sahen wir sie dann irgendwann wieder draußen. 

Ja klar! 

Die Tür vom gelben Gartenhäuschen stand ja auch noch offen…

 

Und dies sei noch erwähnt: 

Ausgerechnet am letzten Abend, beim finalen Fotoshooting, zeigte sich der Lofotenfrühling von seiner ganz, ganz rauhen Seite.

Als Judith und Christoph zu „ihrer Runde“ aufbrachen, öffnete der Himmel seine Schleusen und es fing an zu hageln und zu schütten - wie aus Kübeln. 

Gestürmt hatte es ohnehin schon den ganzen Tag. 

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