"Innerhalb der Sperrnetze standen die Fische so dicht, daß es aussah, als werde die Wasseroberfläche von einem Hagelschauer gepeitscht.
Aber im ganzen Fjord war es nicht anders, Rückenflossen, Rückenflossen überall, der Fjord siedete, sie ruderten in Fischen, dies war ein Märchen."
Johan Bojer, Die Lofotfischer, 1921
Eines Morgens ist das Meer voller Schiffe, aufgereit am Horizont wie Perlen auf einer Schnur.
Es ist Anfang März und irgendwie spüren wir, daß die Dinge von diesem Tag an anders sind.
Die Flotte ist ausgerückt, der Skrei hat die Westküste erreicht. Ausnahmezustand auf den Lofoten.
Wir hatten natürlich schon von dieser fischgewordene Legende gehört, die seit vielen Jahrhunderten die Menschen in Nordnorwegen
jedes Jahr aufs Neue in Ekstase versetzt. Auch schon die Wikinger.
Skrei ….Was klingt wie der Schrei einer Möwe ist der Winterkabeljau aus der Barentsee.
Mit Ende der Polarnacht und der Rückkehr der Sonne verläßt er seine eisige Heimat und wandert in riesigen Schwärmen zum Laichen in die wärmeren Gewässer rund um die Lofoten. Weil er dabei fast 1000 Kilometer zurücklegt ist sein Fleisch fettärmer und fester als das des trägen und seßhaften Küstenkabeljaus. Und genau das macht den Skrei zu einer Deilkatesse. Vor allem wenn er nach dem Fang über Monate in der salzigen Luft getrocknet wird,
auf schier endlosen Holzgestellen, paarweise zusammengebunden an den Schwanzflossen.
Manchmal mit, meistens ohne Kopf.
Das ist schon ziemlich makaber alles und es riecht unglaublich intensiv. Wenn man drunter steht und auch von weitem.
Tatsächlich aber ist getrockneter Skrei der größte Reichtum der Menschen hier (neben dem Tourismus) und nennt sich dann Stockfisch.
Das „Gold der Lofoten“ ist begehrt, vor allem bei Südeuropäern und bei Japanern.
Ich hätte hier gern über den Alltag eines Fischers erzählt, wäre gern auf einem der Boote mit rausgefahren.
Tatsächlich habe ich aber bislang niemanden gefunden, der mich mitnimmt.
Vielleicht habe ich auch zu viel Respekt vor dem Meer und habe nicht intensiv genug gesucht.
Gelandet bin ich letztendlich (mehr oder weniger zufällig) bei der Weltmeisterschaft im Skreiangeln. In Svolvaer, Nachbarort von Kabelvåg.
Was für ein Spektakel. Zu Ehren des Kabeljaus, wie es offiziell heißt.
450 Amateure aus der ganzen Welt, die in großen und kleinen Booten hinaus auf’s Meer gefahren werden. Es war alles unterwegs, was nicht untergeht.
Und am Ufer spielt die Blaskapelle.
Um 9 ging es los, um 3 mußten alle wieder zurück sein.
Es gewinnt, wer mit der Angel den größten und schwersten Skrei fängt.
Ich hatte gehört, daß es an Land eine Liveübertragung geben soll. Jawohl, L I V E !
Mit Kameras von Bord und Drohnen aus der Luft.
Der Festsaal im Hafen war etwa so groß wie eine Turnhalle und platzte schon aus allen Nähten, als ich ankam.
Auf den großen Leinwänden im Hintergrund waren die Bilder freudestrahlender Anglerinnen und Angler zu erkennen, die stolz ihren Fang in die Kameras streckten. Ich hatte erwartet, daß die Leute gebannt davor sitzen und mitfiebern. So wie beim Public Viewing im Fußball.
Tatsächlich aber schienen die Livebilder vom Meer niemanden so richtig zu interessieren. Die haben vor allem in ihre Gläser geschaut, gefeiert und auf den Tischen getanzt. Selbst das Wiegen der Fische später - eigentlich nur noch Nebensache.
Die 3 größten Fische wurden auf einen Haken gespießt, aufgehängt und zur Schau gestellt. Das war’s. Und hoch die Tassen.
Im Hintergrund grölte die Menge norwegische Trinklieder.
Ziemlich fragwürdige Ehren für einen Fisch, dem die Menschen hier sehr viel zu verdanken haben.
Was Johan Bojer 1921 in seinem Buch Die Lofotfischer beschrieben hat, gibt es heute natürlich nicht mehr.
Von wegen peitschendes Meer, siedender Fjord und so. In den 80er und 90er Jahren waren die Skreibestände ziemlich bedroht.
Dann haben die Norweger auf die Fangbremse getreten und die Quoten drastisch und vor allem nachhaltig reguliert.
Inzwischen sei der Kabeljaubestand einer der größten und stabilsten weltweit, heißt es.
Cathinka hat uns mehrmals mit Kabeljau bekocht. Gleich am ersten Abend hatte sie für uns einen wunderbaren Bacalao-Eintopf vorbereitet.
Stockfisch, Kartoffeln, Tomaten, Oliven - unglaublich lecker.
Die Zungen des Skrei sind eine Delikatesse. Sie müssen mit einem Messer aus dem abgetrennten Kopf geschnitten werden.
In Norwegen machen das traditionell die Kinder und zwar schon ab 6 Jahren. Sie dürfen dafür sogar die Schule früher verlassen!!
Und jetzt kommt’s. Manche sind so gut und so geschickt, daß sie mehr Geld verdienen als ihre Eltern. Bis zu 120 Euro in der Stunde. Zigtausend in der Saison.
Die Köpfe des Skreis werden getrocknet und nach Afrika exportiert. Sie sind extrem proteinhaltig und werden dort zu Suppe verarbeitet.
Was auch total gut schmeckt, ist der Rogen des Skreis. Also die Eier. Sie sind u.a. als „cremiger Kaviar“ in Tuben erhältlich.
Auf einem Käsebrot schmeckt das sehr interessant.
Die Skrei-Weibchen legen übrigens bis zu 9 Millionen Eier.
Es ist erstaunlich, daß man in Norwegen Mühe hat, frischen Fisch zu kaufen. Meistens gibt es Lachs in Kühlregalen und Gefriertruhen der Supermärkte.
In Plastik verschweißt. Hin und wieder findet man auch Kabeljau.
Wenn man dann aber hört, daß der Fisch zum Filetieren nach China geschickt wird, vergeht einem irgendwie der Appetit.
P.S.
Wenn Ihr Skrei im Internet googelt, findet Ihr fast ausschließlich Bilder toter Fische.
Aufgespießt, am Haken hängend, filetiert oder in Häppchen geschnitten.
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