Auf der Workawayseite hatte Cathinka unter der Rubrik: Cultural exchange and learning opportunities u.a. das Folgende geschrieben:
„You can learn about all the ups and downs of family life and the logistics of running a household combined with beeing a full-time glass artist.“
Nun sind wir schon mehr als 4 Wochen bei ihr hier in Kabelvåg und haben mittlerweile unsere Lektion gelernt.
Cathinka ist Ende vierzig. Seit sieben Jahren wohnt sie in der alten Industriebrache direkt am Meer.
Ein riesiges langgestrecktes und mit hellem Holz verkleidetes Gebäude mit großzügigen und sehr individuell gestalteten Innenräumen.
Hier hat sie auch ihre Glasbläserei.
Tritt man vor die Tür, sind es nur ein paar Schritte bis zum Anleger mit einem One-Million-Dollar-Blick über den Hafen und die Berge dahinter.
Ursprünglich stammt Cathinka aus Trondheim. Als sie jedoch nach Kabelvåg kam, verliebte sie sich in die umwerfende Landschaft und Natur der Lofoten und ist geblieben, hat hier oben den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und ihre eigene Glashytte eröffnet. Lofoten Glass ist nicht nur eine Galerie, sondern auch eine offene Werkstatt.
Hier entstehen vor den Augen der Betrachter wunderbare Dinge: Vasen, Wein-, Bier- und Trinkgläser, Schalen, Flaschen, Schmuck … und vor allem die Aurorakula. Glaskugeln, in denen Cathinka, wie sie sagt, das Nordlicht einfängt.
Das Kunstgewerbliche ist aber nur die eine Seite. Cathinka versteht sich vor allem auch als Künstlerin. Mit ihren Projekten und Installationen ist sie auf diversen Ausstellungen im Norden vertreten. Für die gilt es, sich zu bewerben, sie vorzubereiten und durchzuführen.
Ein großer Aufwand und viel Arbeit.
In der Werkstatt steht ihr Micha zur Seite, ihre Azubi aus Tschechien. Vor eineinhalb Jahren kam sie hierher und hat seitdem unglaublich viel von ihrer Meisterin gelernt. Mit ihr pflegt Cathinka auch ein Ritual der sehr besonderen Art: ihren täglichen „Mittags-Meeres-Dip“. Direkt vor der Haustür, am Anleger, tauchen sie für unglaublich lange drei Minuten ins eiskalte Meerwasser - an jedem Arbeitstag, bei jedem Wetter, bei Ebbe oder Flut, ob Eisschollen auf der Wasseroberfläche schwimmen oder nicht.
Das soll sehr gesund sein! Frieren sahen wir sie jedenfalls (fast) nie.
Danach gibt es immer Kaffee und Lunch. Und freitags zum Abschluss der Woche noch den gemeinsamen „Fridaycake“.
Cathinka ist nicht nur Glaskünstlerin, sie versteht sich auch auf Schneeskulpturen und hat während unseres Aufenthaltes hier zweimalig eine Aktion für die Kinder der kleinen Gemeinde angeboten. Frida (9) und Emil (6) waren auch dabei, Cathinkas eigene Kinder.
Wochenweise sind sie entweder bei ihr oder bei Jon Arne, ihrem Ex-Mann, der nur ein paar Straßen weiter im Ortszentrum wohnt.
Hat Cathinka die Kinder, fährt sie Frida morgens in die Schule und Emil in den Kindergarten, holt sie zu unterschiedlichen Zeiten wieder ab, hat zwischendurch ein leckeres und warmes Essen gekocht, isst mit ihnen zu Mittag, bringt sie im weiteren Verlauf des Tages wieder zum Sport oder zu Freunden, holt sie wieder ab - kurze Distanzen zwar, aber zeitfressend.
In den „kinderlosen“ Wochen, werden Dinge „weggeschafft“.
Die To-Do-Listen scheinen endlos und immer wieder kommt Neues dazu.
Wenn Cathinka gerade nicht vor dem Ofen steht, Glas bläst oder am Bunsenbrenner hantiert, sitzt sie entweder am großen Esstisch vor ihrem Laptop und macht „Bürokram“ oder aber sie ist am Werkeln: streicht, schraubt, bohrt, hämmert …
Sie hat viele Projekte. Irgendeine Idee wartet immer auf ihre Umsetzung und da packt sie an, wo sie kann. Und sie kann viel.
Nur selten gönnt sie sich den Luxus, auch mal Zeit für sich in Anspruch zu nehmen.
Dann huscht sie ins Fitnessstudio, um ihrer Schulter etwas Gutes zu tun oder aber sie dreht eine schnelle Runde auf der Loipe im Hinterland von Kabelvåg. Schnell in jeder Beziehung: In ihrer Jugend war sie wettkampfmäßig auf den Langlaufskiern unterwegs.
An einem der Wochenenden durften wir sie begleiten. Sie hatte sich durchgerungen, einmal nicht zu arbeiten. Stattdessen führte sie uns auf eine Skitour in die Bergwelt oberhalb von Svolvear. Wir hatten - anders als sie - leider keine Felle unter den Skiern und der Aufstieg war ziemlich mühsam.
Wunderbar und einmalig war es trotzdem. Und wir wären ihr auch mit Fellen sicher nicht hinterhergekommen.
Letztes Wochenende war dann Vater Jon zu Besuch. Er ist der Manager von Cathinkas Company und kam extra aus Trondheim angeflogen, um ihr, wie er sagte, „ein bisschen mit den Büchern“ zu helfen. Nicht nur Unterstützung für Cathinka, sondern auch eine schöne Abwechslung. Abends gab es ein sehr familiäres und köstliches Abendessen mit frischgefangenem Fisch (dem berühmten Skrei), viel Wein (dem berühmten Elsässer Riesling) und Schnaps (dem berühmten Waldrausch aus Oberried). Das war sehr gemütlich!
Mittlerweile neigt sich unser Aufenthalt dem Ende zu.
Auch Cathinka wird aufbrechen, in Skiferien nach Lillehammer mit den Kindern. Die Osterferien stehen vor der Tür.
Bis dahin gibt es für sie noch endlos viel zu tun: schnell noch nach Svolvear fahren und einen Herd für das neue Apartment anschauen, schnell die Installation zum Fototermin fertig machen, schnell noch mit dem Kindern aus dem Ort ein paar Schneeskulpturen bauen, schnell noch die Überwachungskamera flottmachen, damit der bösartige Nachbar überführt werden kann, falls er wagen sollte… schnell noch packen, schnell …
Fünf Wochen haben wir hier verbracht.
Nicht weil, sondern w ä h r e n d wir hier waren, hat sich wahnsinnig viel getan.
Das Apartment, das bei unserer Ankunft noch im Rohzustand war, ist mittlerweile bereits vermietet und ein weiteres Atelier quasi fertiggestellt.
Zwei Projekte, die offenbar schon seit Jahren auf ihre Realisierung warteten.
Christof und ich haben einen winzigen Teil dazu beigetragen: haben viel gestrichen, geputzt, geschraubt … gewerkelt eben.
Und vor allem immer wieder Unmengen von Schnee weggeschaufelt, für die Autos der Kunden und die der diversen Handwerker, die sich hier die Klinke in die Hand gedrückt haben.
Christof war auch als Fotograf gefragt: das Neuentstandene - ob Räumliches oder Künstlerisches - sollte unbedingt dokumentiert werden, bevor wir gehen.
Das hier war jedenfalls eine völlig neue Erfahrung.
So mittendrin wie diesmal waren wir noch nie.
24/7 mitten in der Familie, mitten im Tagesgeschehen, mitten in Cathinkas stressigem Alltag.
"Lots of opportunities for cultural exchange and learning." In der Tat!
Wir haben hautnah erfahren, wie es sich anfühlt, in Norwegen Mutter, Unternehmerin und Künstlerin zu sein und ziehen den Hut vor dem, was unsere tüchtige Gastgeberin jeden Tag leistet.
Chapeau Madame!
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Famille DEMARCQ (Montag, 10 April 2023 12:55)
Sacrée force de caractère !
Cela fait plaisir de vous trouver en pleine forme ! Avez-vous essayé la baignade quotidienne ?