God Jul

Draußen war es schon ziemlich dunkel. Kurz vor finster. 

Wir schlichen leise aus der Tür hinaus, liefen geduckt über die freie Fläche hinter der Hütte, stiegen über den Zaun und folgten den Spuren im Schnee.

Wenige Augenblicke später verschmolzen unsere Umrisse mit denen des dunklen Waldes. 

 

Es ist der Tag vor Heiligabend. Auf der Hochebene in Myking, etwa 3 1/2 Autostunden von Oslo entfernt.

Etwas mühsam hatte uns die Minna am Vorabend die verschneite Straße hinauf zu unserer Berghütte gebracht.

Mit großer Erleichterung und viel Gas waren wir gerade noch so die ersten Meter der Einfahrt hoch gerutscht.

Schiebetür auf. Raus in die Kälte (Minus 15), den Hüttenschlüssel in der Dunkelheit suchen, auspacken, hoch schleppen, Hüttentür zu - Weihnachten!

 

Unsere Gedanken sind in den vergangenen Tagen immer wieder zurück nach Freiburg gewandert.  

Dort wären jetzt alle zusammen.

Dort wäre der Baum vermutlich längst geschmückt. 

Dort wären jetzt alle damit beschäftigt, auf den letzten Drücker zu basteln, zu backen, einzukaufen oder einzupacken.  

Alle würden ein bißchen fluchen und feststellen, daß wir das nächstes Jahr irgendwie anders machen müssen, von wegen Hektik und so.

Diesmal ist alles anders. 

Wir sind nicht zuhause. Nicht Eichbergstrasse sondern Mykingtoppen

Wir sind nicht vollzählig. Evi und Tim sind gekommen, aber Piet ist in Nepal.

Es gibt keine Geschenke. Also fast keine. 

Es wird an Heiligabend Hühnersuppe geben und nicht die Rindfleischsuppe von Lea Linster

Und (!) 

Diesmal klauen wir uns einen  Weihnachtsbaum. 

Im Wald direkt hinter unserer Hütte. 

 

Ich hatte ihn kurz vor Sonnenuntergang ausgespäht. Das war so gegen halb 3.

War ein paar mal drumherum geschlichen, hatte mit den Schneeschuhen die Spur gelegt, sodaß wir ihn jetzt auf jeden Fall wiederfinden würden. 

Klingt eigentlich ganz easy. 

Aber hey, wir sind Deutsche. Deshalb haben wir Skrupel und fühlen uns dabei schuldig. 

Wir flüstern sogar im Wald, obwohl da niemand ist.

Wir schauen rechts, dann links. Thea klappt die Säge auf. Verschwindet unter den Ästen.

Das geht ratz fatz, dann liegt er vor uns. 

 

Unsere „Beute“ ist etwa 1 Meter 60 groß und entspricht ganz sicher nicht den EU-Qualitäts-Standards für Weihnachtsbäume. 

Aber er ist authentisch, hat Charakter und riecht nach norwegischen Wäldern. 

Fichte! Nicht Blautanne mit Gedöns. 

 

Es ist inzwischen sternklare Nacht (am späten Nachmittag). 

Als wir den dunklen Wald verlassen, werden unsere Umrisse deutlich sichtbar.

So unauffällig wie möglich wirft Thea den Baum über den Zaun und eilt über die freie Fläche bis zur Hütte.

Ich rufe ihr hinterher, daß sie warten soll, weil ich noch ein Foto machen möchte.

Sie hört es nicht mehr. Ist schon in Sicherheit. 

 

God Jul. Fröhliche Weihnachten!

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Kommentare: 2
  • #1

    Femily Laco (Mittwoch, 28 Dezember 2022 21:57)

    Veľmi vás pozdravujeme na vašej ceste prajeme veľa zážitkov a stretnutí so zaujímavými ľuďmi. Tešíme sa na stretnutie zasa raz na Eichberstr.

  • #2

    Heinz (Dienstag, 10 Januar 2023 21:40)

    Kühne Aktion! Gefällt mir!