Sollia Ysteriet

Wir schauen uns an und finden uns zum Piepen - wieder einmal: 

Die Grascutting-Montur war ja auch schon mal nicht schlecht. 

Diesmal stecken wir in weißen Kitteln, haben weiße Schuhe an den Füßen - so eine Art Kunststoffclogs -

tragen auf dem Kopf eine Haube aus dünner weißer Gaze - so eine Art Witwe-Bolte-Mütze -

und sehen wirklich sehr komisch aus. 

Absolute Hygiene gilt auch für „betriebsfremde“ Personen. Und sie gilt auch - und vor allem - hier in Norwegen!

 

In dieser Kluft steigen wir also über das ebenfalls weiße „Bänkle“, das den unsauberen vom sauberen Bereich trennt

und Tanja öffnet uns die Tür zum „Herzen“ der Sollia Ysteriet

Nein, keine Hysterie, sondern die Käserei von Sollia - das einzige Geschäft weit und breit.

Der nächste Lebensmittelmarkt ist 20, der nächste größere Ort 40 km entfernt. 

25 Menschen leben hier im Dorf, größtenteils Bauern. 

Darunter auch Tanja und Stein, Ellen-Marie und Hans - Nachbarn. 

Die einen betreiben einen Bio-, die anderen einen konventionellen Ziegenhof.

2021 haben sie sich - trotz des unterschiedlichen Konzepts - zusammengetan und diese Käserei eröffnet. Ein Spagat für alle Beteiligten. 

Unterstützung bekommen sie durch Barbara, eine Belgierin und Camille, eine Französin. 

 

Die Käserei befindet im Erdgeschoss eines schönen alten Gebäudes, ein ehemaliger „Landbrukthandel“.

Den Kunden empfängt ein gemütlicher Verkaufsraum: klein aber fein.

Ein überschaubares Angebot, liebevoll präsentiert in einer gläsernen Vitrine.

Ziegenkäse jedweder Art: alt und jung, fest oder cremig, braun oder gelblich; Brunost, Hvit Geitost, Kremost, Kefir und wie sie alle heißen … 

Im Nebenraum das Kafé: einfache uralte Holztische und Stühle und ein wunderbarer gußeiserner Bollerofen.

An den Wänden überall Bilder: Tier- und Landschaftspastelle.

Hier kann man sich niederlassen, die hiesigen Spezialitäten aus Ziegenmilch kosten, in Büchern stöbern, Kunstgewerbe kaufen.

Vor allem im Sommer ist einiges los. 

Den riesigen runden kupfernen Kessel hat Tanja schon in die Mitte des Raumes geschoben - österreichisches Fabrikat, extra für sie angefertigt! 

Und im Kessel - so viel Ziegenmilch!

Sie ist bereits erwärmt und vorbereitet: mit Milchsäurebakterien und Labferment versetzt, damit sie eindickt.  

 

Ihr Know-How hat Tanja aus den Alpen mitgebracht.

Sie kommt aus Deutschland, hat ökologische Landwirtschaft studiert und vor allem in der Schweiz oft auf Almen gearbeitet.

Hat dort viel Erfahrung gesammelt und verfügt nun, wie Barbara bewundernd sagt, über „so much cheese wisdom“. 

Leider habe der Staat durch seine Auflagen fürs Käsen vieles kaputt gemacht, viel von der alten Tradition zerstört, meint Tanja.

Nirgendwo sei das so schlimm wie hier in Norwegen! Das sei schade, aber das Bewusstsein ändere sich allmählich. 

Das verblüfft uns natürlich. Wieder einmal sind wir romantischer Verklärung aufgesessen.

 

2011 kam Tanja mit ihrem norwegischen Mann Stein nach Sollia, betreibt seitdem den Ziegenhof - biologisch! 

Bei aller Leidenschaft - davon leben zu müssen, sei schon ein sehr hartes Dasein. Eine Abhängigkeit, die sie so nicht gewollt hatte.

Trotz Bio, trotz der exponierten Hanglage und der schwierigen Bedingungen bekäme sie wenig Unterstützung vom norwegischen Staat.

Und jetzt noch die explodierenden Energiekosten! 

Sie sei froh, dass wenigstens die Schule nicht schließen muss, denn das hätte über kurz oder lang auch das Aus für die Käserei bedeutet. 

Mal schauen, wie die Kommune nächstes Jahr entschiedet.

Sie möge es aber, körperlich zu arbeiten, sagt Tanja. Draußen, bei Wind und Wetter, lieber sogar, als drinnen in der Käserei zu sein.

Deshalb sei sie froh, dort Barbara und Camille zu ihrer Unterstützung zu haben. Die beiden seien so ein Segen! 

 

Die Milch ist mittlerweile eingedickt und warm genug. An den Rändern setzt sich deutlich die Molke ab.

Tanja greift zur „Käseharfe“, einer Art Kamm, riesengroß.

Sie taucht sie ein und zieht sie mit kräftigen, geschickten Bewegungen durch die „Gallerte“.

Hin und her, von rechts nach links, von links nach rechts, schwenkt sie, setzt wieder neu an. 

Auf diese Weise zerteilt sie die festen Bestandteile, immer und immer wieder, so dass noch mehr Molke austritt.

Die weiße Masse klumpt und sieht schließlich aus wie Hüttenkäse.

Diesen „Bruchkäse“ erhitzt sie nochmals und schöpft ihn schließlich mit runden siebartigen Bottichen ab,

presst ihn, damit die Molke abfließt und beschwert die Deckel mit großen Flusskieseln. 

Die hat sie eigens aus dem Fluss Atna gesammelt … und das sieht sehr schön aus! 

Ab und zu müssen die feuchten Laibe noch gewendet werden. Dann dürfen sie ruhen - mehrere Monate - im Keller - bis zum Verkauf. 

 

Nur ein kleiner Teil davon geht über die Theke der Käserei. Einiges wird auf Märkten verkauft, vor allem jetzt in der Vorweihnachtszeit.

Aber das meiste vertreibt ein Großhandel in Røros. Der bietet dann den Käse in den Supermärkten als regionales Produkt an.

Ziemlich teuer, sagt Tanja, vielleicht etwas zu teuer. 

Im hinteren Teil des Raumes führt eine Treppe in den Keller, eine enge, steile Wendeltreppe aus Metall.

Wir folgen Tanja nach unten. 

Das Licht geht an: Ein Regal neben dem anderen, ein Käselaib neben dem anderen, nummeriert:

die jüngeren, helleren weiter unten, die älteren, dunkleren oben. 

Hier lagern sie also die gelbweißen Räder.

Hier reifen sie und entwickeln während vieler Wochen und Monate ihren „Charakter“, sind wunderbar anzusehen und schmecken fantastisch.

Echte Handarbeit und eine wahre Schatzkammer! 

Immer wieder kommt Tanja hier hinunter, kontrolliert Luftfeuchte und Temperatur, wendet die Laibe.

Sie kontrolliert die Rinde, bürstet sie, bestreicht sie mit Salzlake. 

Wir sehen ihr dabei zu.

Das hat fast etwas Fürsorgliches.

Und wir erkennen, trotz aller Existenzsorgen und Mühsal, Freude und einen gewissen Stolz in ihren Augen.   

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Kommentare: 1
  • #1

    Hélène DEMARCQ (Sonntag, 20 November 2022 09:39)

    Miam,miam....
    Je ne peux m'empêcher de penser , que malgré tout, les pélardons des Cévennes sont meilleurs ... vilaine chauvine que je suis ! Au demeurant, quelle splendeur que ces gestes ancestraux . Vive le lait cru !